Als Robert M. Parker, Jr. Ende der 1960er Jahre sein Talent für die Analyse und Beschreibung von Weinen entdeckte, sah die Weinwelt noch völlig anders aus. Rückblickend könnte man sie als in sich geschlossenes System bezeichnen, das dem weininteressierten Verbraucher keinerlei Möglichkeit bot, sich zu informieren oder Weine zu vergleichen und entsprechend seine Kompetenz zu schulen. Wer in Deutschland Wein kaufen wollte, fuhr zum Winzer oder vertraute einem der wenigen Weinhändler. In Deutschland war übrigens das Hanseatische Wein & Sekt Kontor einer der ersten Händler, bei dem man deutschlandweit aus einer großen Produktpalette wählen konnte und zwar gleichermaßen deutsche wie ausländische, vor allem französische, Weine − aber das nur nebenbei.
In den USA, dem Heimatland Robert M. Parkers, boomten die kalifornischen Weine, nachdem sie 1975 bei einer legendären Probe in Paris gezeigt hatten, dass sie qualitativ mit den besten französischen Gewächsen mithalten konnten. Doch für den wenig bewanderten Verbraucher waren der Weinbau und die Weinqualität auch in den USA ein schwer zu durchschauendes Gebilde. Robert M. Parker war zu diesem Zeitpunkt Anwalt und sympathisierte mit den Ideen des legendären Verbraucherschützers Ralph Nader, der seit Jahrzehnten darum kämpfte, Verbrauchern Mittel an die Hand zu geben, um sich über Produkte und Firmen selbstbestimmt informieren zu können. Robert Parker wusste seit einer Reise ins Elsass in den 1960ern, dass er einen besonders guten olfaktorischen Sinn und ein besonders gutes Gedächtnis für Weine hatte. 1978 hatte er schließlich das Gefühl, so viel über Wein zu wissen, dass er sich zutraute, Weine bewerten und dies auch veröffentlichen zu können. Er lancierte zum ersten Mal Robert Parker‘s Wine Advocate, in dem er die Beurteilungen einzelner Weine niedergeschrieben hatte. Zu diesem Zweck nutzt Robert Parker bis heute das 100-Punkte-Bewertungssystem, was in etwa dem Bewertungssystem der amerikanischen Highschools entspricht und sich deshalb vor allem in den USA durchgesetzt hat, mittlerweile jedoch auch internationaler Standard ist.
Erste weltweite Aufmerksamkeit erhielt Robert M. Parker, als er den 1982er Bordeaux-Jahrgang als herausragenden Jahrgang bezeichnete – im Gegensatz zu vielen anderen Weinkritikern. Es entwickelte sich innerhalb der Weinszene ein weltweiter Diskurs, den Robert M. Parker jedoch vor allem in der Rückschau eindeutig für sich entschied. Der 1982er wird heute allgemein als einer der großen Bordeaux-Jahrgänge unserer Zeit angesehen. Für den Anwalt aus Baltimore war diese Diskussion der Durchbruch, und die Auflage seines bis heute zweimonatlich erscheinenden Wine Advocate stieg rasant auf bis heute ca. 45.000 Print-Abonnenten und viele weitere Besucher des Online-Portals. Im Laufe der Zeit ist Parker mit seinem Bewertungssystem mit Abstand der wichtigste Weinkritiker geworden. Dies hat sowohl Vorteile als auch kritisch zu sehende Seiten. Eindeutig positiv zu sehen ist die Tatsache, dass mit ihm die Weinwelt deutlich transparenter geworden ist. Allerdings ist seine Vormachtstellung im Laufe der Zeit so groß geworden, dass seine Bewertungen oft als das Maß der Dinge angesehen werden. Dies ist insofern problematisch, als auch Robert M. Parker wie wir alle, eine gewisse Vorliebe für bestimmte Stile hat. Entsprechend dieser Vorliebe hat er sehr dichte, sehr fruchtige, teils marmeladige Rotweine von großer Fülle tendenziell immer besser bewertet als schlanke, frische, eher elegante Weine. Dies hat dazu geführt, dass eine ganze Generation von Winzern und Weinmachern, vor allem im Bordelais, aber auch in Spanien, Südfrankreich, der Rhône oder in Übersee, ihren Weinstil an den Geschmack von Robert Parker angelehnt hat, um entsprechend bewertet zu werden. Bewertungen von Robert Parker, die über 90 Punkte hinausgehen, bedeuten einen deutlichen Mehrumsatz für das Weingut. Diese so genannte Parkerisierung des Weinstils hatte ihren Höhepunkt vor ca. zehn Jahren und flaut langsam wieder ab. Alkoholärmere, säurebetontere, frischere Weine sind wieder deutlich gefragter.
Dies wird auch dadurch gefördert, dass sich in Parkers Team – er kann längst nicht mehr alle Weine alleine bewerten – Kritiker befinden, die diesen schlankeren Stil bevorzugen. Aktuell schreiben neben Robert Parker, der sich nach und nach zurückzieht Jeb Dunnuck, Luis Gutierrez, Monica Larner, Neal Martin, Lisa Perrotti-Brown, Mark Squires und David Schildknecht. Robert M. Parker, 1999 von Jacques Chirac zum Ritter der Ehrenlegion ernannt, gehört definitiv zu den großen Erneuerern der Weinwelt.